Durchbruch in der WHO-Finanzierung: Interview mit Björn Kümmel

23. June 2022 I  Aus der Politik  I by : Jonas Huggins

Nach 18 Monaten Verhandlungen hat eine WHO-Arbeitsgruppe den Weg für deutliche Erhöhungen der Mitgliedsbeiträge geebnet. Ein Interview mit Björn Kümmel, der die Arbeitsgruppe geleitet hat.

Seit Jahren stecken die Verhandlungen um die Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Krise. Im Januar 2021 wurde ein neuer Anlauf genommen, sich auf eine Erhöhung der regelmäßigen Mitgliedsbeiträge zu einigen. Die Arbeitsgruppe für nachhaltige Finanzierung (Sustainable Financing Working Group) hat nach langen Beratung Empfehlungen formuliert, die WHO-Mitgliedsstaaten haben sie bei der 75. World Health Assembly Ende Mai 2022 angenommen. Eine „historische Entscheidung“, so die WHO. Björn Kümmel, stellvertretender Leiter des Referats für Globale Gesundheit im deutschen Bundesgesundheitsministerium und Leiter der WHO-Arbeitsgruppe, erzählt im Interview, wie der Durchbruch gelang.

 

Warum ist für die WHO eine Reform ihrer Finanzierung so wichtig?

Björn Kümmel: Alle zwei Jahre verabschieden die 194 Mitgliedsstaaten der WHO einen Haushalt in Höhe von rund fünf Milliarden US-Dollar. Derzeit wird der WHO nur 16% davon vorhersehbar und flexibel bereitgestellt. Rund 84% werden unvorhersehbar von einzelnen Gebern auf freiwilliger Basis und meist zweckgebunden zur Verfügung gestellt, sodass die WHO sie nicht einfach für ihre Prioritäten nutzen kann, sondern abhängig davon ist, was die Geber ihr gesagt haben. Das führt dazu, dass die Programme der WHO nicht ausbalanciert finanziert sind. Einige Programme bekommen viel mehr Geld als ursprünglich vorgesehen und sinnvoll, andere sind chronisch unterfinanziert: Beispielsweise das World Health Emergency Programme, das für die Prävention von Gesundheitskrisen zuständig ist, oder die Arbeit der WHO im Bereich nichtübertragbarer Krankheiten. Damit kann die WHO ihren mandatierten Auftrag, nämlich die leitende und koordinierende Autorität der globalen Gesundheit zu sein, schlecht erfüllen.

 

Vor der Mitgliederversammlung der WHO, der World Health Assembly, haben Sie die Ergebnisse der Arbeitsgruppe für nachhaltige Finanzierung eine „bahnbrechende Verbesserung“ genannt. Warum?

Björn Kümmel: Viele Länder sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, die Mitgliedsbeiträge bei den Organisationen der Vereinten Nationen zu erhöhen. In der WHO hat das zu einer großen Diskrepanz zwischen freiwilligen und Pflichtbeiträgen geführt. Eigentlich alle unabhängigen Experten haben gesagt: Man muss diese Finanzierungskrise, die es seit zwei Jahrzehnten innerhalb der WHO gibt, endlich lösen, weil man damit die Implementierung der Gesundheitsziele besser in Angriff nehmen kann und den Schutz vor Gesundheitsgefahren und Krankheitsausbrüchen besser in den Griff bekommt. Die Arbeitsgruppe hat sich darauf verständigt, dass man das tatsächlich tun möchte. Der Anteil der Pflichtbeiträge am Kernbudget der WHO soll über sechs bis acht Jahre auf 50% anwachsen. In einem ersten Schritt möchte man in den kommenden beiden Jahren eine Erhöhung von 20% in Angriff nehmen.

Das ist historisch! Warum? Weil man innerhalb der letzten 20 Jahre sich auf keine wirklich umfassende Reform hat verständigen können. Das letzte Mal, als der Pflichtbeitrag erhöht wurde, hat man sich nach jahrelangen Diskussionen auf nur 3% einigen können.

 

Die Arbeitsgruppe hat mehr als anderthalb Jahre lang beraten. Warum hat es so lange gedauert?

Björn Kümmel: Mitgliedsstaaten zahlen nie freiwillig mehr aus eigener Tasche, sondern hoffen stets, dass jemand anderes die Kosten für sie übernimmt. So war das hier auch. Wir mussten zunächst in mehreren Runden alle Mitgliedsstaaten informieren, was die Probleme in der Finanzierungslage und was die Ursachen sind, um gemeinsam eine Lösung zu entwickeln. Ich sehe es aber weniger kritisch, dass das so lange gedauert hat. Wir haben einen wirklichen Durchbruch erzielt, das darf auch anderthalb Jahre lang dauern. Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass die Mitgliedsstaaten sich intern mit ihren Finanzressorts oder mit ihren höchsten Entscheidungsträgern abstimmen mussten.

Dabei stellte sich für viele Mitgliedsstaaten die Frage: Wenn wir bei der WHO die Beiträge erhöhen, haben dann nicht auch andere Organisationen der Vereinten Nationen ein Anrecht auf eine gleichermaßen hohe Steigerung ihrer Mittel? Es ist schwer, verschiedene Organisationen zu vergleichen. Letztlich war aber klar: Die Diskrepanz zwischen freiwilligen und Pflichtbeiträgen ist bei der WHO immens. Dabei muss sie besonders hohe Standards an Integrität und Offenheit wahren und ist abhängig von der Expertise ihres Mitarbeiterstabs. Die WHO verfügt über eine große Struktur, einschließlich 150 Länderbüros, die Mehrwerte kreieren sollen. Das kostet Geld.

Außerdem hat uns die Pandemie politisches Momentum verschafft. Wir gehen durch eine Jahrhundertkrise, welche die limitierten Kapazitäten der WHO in den Fokus gerückt hat. Ich glaube, dass wir ohne die Pandemie wahrscheinlich nicht zu diesem Resultat gekommen wären. Es war auch in der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe allen klar: Entweder schaffen wir es jetzt, dieses historische Problem in Angriff zu nehmen, oder wir werden es überhaupt nicht mehr schaffen – dann mit fundamental schlechten Konsequenzen für die WHO und ihre Rolle in der globalen Gesundheit. Denn andere Akteure neben der WHO werden weiterwachsen, kapazitär wie finanziell. Das war ein Grund, weshalb der Erfolg in dieser Arbeitsgruppe generiert werden konnte.

 

Die World Health Assembly hat die Empfehlungen Ihrer Arbeitsgruppe angenommen. Welche Schritte folgen jetzt?

Björn Kümmel: Die Erhöhung der Pflichtbeiträge war die bedeutsamste Empfehlung der Arbeitsgruppe, um die auch am längsten gerungen wurde. Sie war aber nicht die einzige Empfehlung, sondern Teil von einem Paket. Denn wenn die Hälfte des Kernmandats der WHO durch Pflichtbeiträge finanziert werden soll, was ist eigentlich mit dem anderen Teil? Wir haben empfohlen, einen sogenannten Replenishment- oder Wiederauffüllungs-Mechanismus für die WHO zu entwerfen, wie er bereits sehr erfolgreich bei anderen Organisationen eingesetzt wird. Dieser muss für die WHO adaptiert werden. Darüber hinaus gibt es konkrete Empfehlungen, um die Leistungsfähigkeit und die Agilität der WHO zu steigern. Alle Empfehlungen wurden von der WHA angenommen. An der Umsetzung dieser Empfehlungen wird man in den kommenden Monaten nachfassen müssen.

 

Welche weiteren Reformen der WHO halten Sie für nötig?

Björn Kümmel: Die WHO – und damit meine ich die Organisation ebenso wie ihre 194 Mitgliedsstaaten – hat besondere Schwierigkeiten damit, klare Prioritäten zu setzen und sie deutlich zu artikulieren. Sich den essenziellen Dingen zuerst zu widmen und nicht alles gleich zu behandeln, ist in der globalen Gesundheit nicht einfach. Im Bereich Transparenz ist die WHO dagegen aus unserer Sicht sehr gut, gerade im Vergleich zu anderen internationalen Akteuren. Die Finanzströme sind öffentlich einsehbar. Wo wir allerdings besser werden müssen, ist bei der Finanzierung der „global public goods“ über die Pflichtbeiträge. Wir haben in der Vergangenheit viel zu oft Resolutionen angenommen, die nicht finanziert waren und damit zur Diskrepanz zwischen Erwartungen und Möglichkeiten der Implementierung beigetragen. Das muss sich in Zukunft ändern – da müssen sich die Mitgliedsstaaten aber auch selbst an die Nase fassen.

 

Was haben Sie aus dem Reformprozess der WHO gelernt: Wie können Staaten dazu bewogen werden, ausreichende Gelder zur Verfügung zu stellen?

Björn Kümmel: Vor der World Health Assembly habe ich das Resultat der Arbeitsgruppe als einen Erfolg eines konstruktiven Multilateralismus beschrieben. Wir konnten den Beteiligten vermitteln, dass wir alle ein gemeinsames Interesse an einer starken WHO haben. Bei der WHO sitzen 194 Mitgliedsstaaten an einem Tisch und entscheiden gleichberechtigt. Die WHO hat außerdem ein umfassendes, globales Mandat, ist also nicht auf einzelne Krankheiten beschränkt. Das unterscheidet sie von anderen Akteuren der globalen Gesundheit. Diese Inklusivität und das breite Mandat haben uns ermöglicht, auch bei skeptischen Mitgliedsstaaten das Interesse an einer starken WHO zu wecken.

Es waren viele Runden, die wir gedreht haben. Wir haben sieben Sitzungen der Arbeitsgruppe gehabt, die alle vollkommen inklusiv waren, sprich: 194 Mitgliedsstaaten waren eingeladen und konnten sich aktiv einbringen. Wir sind in die Regionen gegangen, hatten bei den Regionalkomitees jeweils Sitzungen dazu und haben aufgeklärt. Wir haben immer wieder erklärt, warum die Reform erforderlich ist, wir sind auf allen Ebenen auf Mitgliedsstaaten zugegangen und haben versucht, die Ängste oder Schwierigkeiten zu verstehen und sie zu entkräftigen. Ich glaube, dass dieser offene und transparente Umgang ein Mittel des Erfolgs war. Und die große Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die diesen Prozess mitgetragen haben, war auch wichtig.

 

Welchen Aufgaben widmen Sie sich jetzt als nächstes?

Björn Kümmel: Wir müssen nicht nur diese eine Lehre aus der Pandemie – in Bezug auf die Finanzierung der WHO – ziehen und umsetzen. Es gibt auch viele andere Bereiche, in denen wir besser werden müssen, um zukünftig auf Gesundheitskrisen besser vorbereitet zu sein. Aktuell gibt es Diskussionen um die Gründung einer neuen Finanzierungsfazilität bei der Weltbank für Pandemic Preparedness and Response. Wir sind da sehr aufgeschlossen und wollen uns beteiligen. Allerdings wollen wir sicherstellen, dass diese Fazilität nicht zur Fragmentierung beiträgt, sondern sich bestmöglich in eine effizientere und besser koordinierte globale Gesundheitsarchitektur einfügt.

Darüber hinaus findet im Oktober dieses Jahres wieder der World Health Summit in Berlin statt, diesmal in Kooperation mit der WHO. Da werden wir besondere Akzente setzen können. Ich habe also für dieses Jahr noch genügend Aufgaben auf dem Tableau.

 

Die Fragen stellte Jonas Huggins.

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