Eindämmung des nächsten Ausbruchs Teil 1: FLI zur Vogelgrippe und Pandemievorsorge
Ein Interview mit Prof. Dr. Timm Harder und Prof. Dr. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) über die Vogelgrippe, die Überwachung des Infektionsrisikos zwischen Mensch und Tier, und die Rolle der IGV bei der Pandemievorsorge.
Während die Welt eine erneute Zunahme der Vogelgrippe (Aviäre Influenza) erlebt, erinnert die aktuelle Situation daran, wie eng die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt miteinander verbunden ist. Das Virus breitet sich über Kontinente und Arten hinweg aus. Obwohl bereits Infektionen beim Menschen festgestellt wurden, gibt es bislang keine Hinweise auf eine Übertragung von Mensch zu Mensch, das Risiko entwickelt sich jedoch weiter. Aktuelle Analysen zeigen, dass sich der H5N1-Stamm zunehmend unter Rindern ausbreitet und Mutationen aufweist, die seine Vermehrung in den Zellen der Atemwege von Rindern und Menschen begünstigen. Der Evolutionsvirologe Daniel Goldhill bezeichnet diese Veränderungen als den „ersten Zwischenschritt für das Virus“, der das Risiko eines Übersprungs auf den Menschen erhöht.
Vor diesem Hintergrund und im Anschluss an die Anhörung des Bundestags-Gesundheitsausschusses zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) sprachen wir mit Prof. Dr. Timm Harder, PhD, Leiter des WOAH, FAO und Nationales Referenzlabor für Aviäre Influenza (AI) / Geflügelpest am FLI und Prof. Dr. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik sowie FLI-Vizepräsident über die aktuelle Überwachungslage, die wachsende Bedrohung an der Schnittstelle zwischen Mensch und Tier sowie darüber, wie die überarbeiteten IGV dazu beitragen können, die nächste Pandemie bereits im Entstehen zu verhindern.
Wie bewertet das FLI die derzeitige Situation der hochpathogenen Aviären Influenza (HPAI) in Deutschland, und was sind die Hauptfaktoren hinter der jüngsten Zunahme bei Wild- und Hausvögeln?
Die Lage bzgl. HPAIV H5N1 bleibt angespannt, auch wenn der Peak der Fälle bei Wildvögeln und das Massensterben von Kranichen zunächst überwunden zu sein scheint. Die Wildvogelfälle wurden zu mehr als 80% von Kranichen verursacht, deren Population massiv betroffen war. Es wird geschätzt, dass bundesweit mehr als 20.000 Kraniche der H5N1-Infektion zum Opfer gefallen sind. Bei den Geflügelfällen gab es Schwerpunkte vor allem in den Regionen mit einer hohen Dichte der Geflügelpopulation (BB, NI, NW). Der Großteil der bisher mehr als 150 Ausbrüche (Stand 30.11.2025) ist auf Primäreinträge des Virus zurückzuführen; bislang gibt es nur wenige gesicherte Hinweise auf Sekundärinfektionen durch Übertragungen zwischen Geflügelhaltungen.
Der Nachweis von H5N1 bei Säugetieren wie Robben, Katzen und sogar Rindern hat Besorgnis über eine Anpassung an neue Wirte ausgelöst. Wie genau beobachtet das FLI diese Entwicklungen, und welche Indikatoren würden auf ein erhöhtes Risiko einer Übertragung auf den Menschen hinweisen?
Es existiert kein staatlich organisiertes Monitoringprogramm für Säugetiere. Allerdings führen manche Bundesländer erweiterte Untersuchungen vor allem bei tot aufgefundenen fakultativen Aasfressern (z.B. Füchse, Waschbären, Musteliden) durch. Bislang sind seit Oktober drei Füchse sowie eine Katze gesichert HPAIV H5N1-positiv getestet worden. Diese Infektionen stellen jeweils eine „Sackgasse“ dar und es kommt nicht zur Weitergabe an andere Säugetiere.
Erhöhte Expositionsrisiken für Menschen gehen derzeit vor allem von der Bergung verendeter Wildvögel aus sowie vom Beräumen infizierter Geflügelhaltungen. Daher ist passende Schutzkleidung für Personen, die Wildvogelkadaver einsammeln oder Bestände räumen, unerlässlich. Änderungen des derzeit als „gering“ eingeschätzten Risikos für die Allgemeinbevölkerung (ECDC/WHO-Einschätzung) sind nicht erkennbar. Bisher ist es zudem zu keine Mensch-zu-Mensch-Übertragung gekommen.
Indikatoren für ein erhöhtes Risiko wären beispielsweise das Auftreten von H5-Varianten, die sich mit humanen Influenzaviren gemischt haben, die Anpassung und Weitergabe innerhalb von Säugetierpopulationen (insbesondere Schweinen) oder gehäufte humane Infektionen mit zusätzlichen adaptiven Mutationen oder neuen Reassortanten. Infektionscluster mit der Weitergabe von Mensch-zu-Mensch wären ein besonders schwerwiegendes Alarmsignal. Daher sind alle diese Szenarien für eine umfassende Vorbereitung und Surveillance zu berücksichtigen.
Angesichts wiederkehrender Ausbrüche: Welche unmittelbaren Biosicherheitsmaßnahmen sollten Geflügelhalter*innen sowie lokale Behörden verstärken, um eine Übertragung zwischen Arten und letztlich auf den Menschen, zu verhindern?
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass gesicherte Anlagen zwar einen gewissen Schutz gegen den Eintrag bieten können, eine hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nicht. Risikominderungen liegen vor allem in der Schaffung von wirksamen Barrieren zwischen Geflügel und Wildvögeln zum beiderseitigen Schutz. Dabei müssen mittelfristig auch infrastrukturelle Anpassungen, vor allem in Gebieten mit bislang hoher Dichte der Geflügelpopulation, angedacht werden. Weiterhin kommt der Früherkennung eine besondere Bedeutung zu, um Ausbrüche so früh wie möglich eindämmen zu können.
Obwohl die Internationalen Gesundheitsvorschriften vor allem der Prävention und Vorsorge von humanmedizinischen Gesundheitsnotfällen dienen, spielen tiergesundheitliche Institutionen wie das FLI eine zentrale Rolle bei der Frühwarnung. Wie ist das FLI in die Umsetzung der IGV-bezogenen Überwachungs- und Meldesysteme in Deutschland eingebunden? Gibt es etablierte Kommunikationskanäle mit dem RKI und den WHO-Netzwerken im Rahmen des One-Health-Ansatzes?
Das FLI ist über seine Referenzlabor- und Surveillancefunktionen eng in die IGV-bezogenen Überwachungs- und Meldestrukturen eingebunden und gewährleistet dabei, dass tiergesundheitliche Informationen frühzeitig in die humanmedizinische Bewertung einfließen. Mit dem RKI besteht ein etablierter und langjähriger Informationsaustausch auf Fach- und Leitungsebene, in dem Erkenntnisse – etwa zu Ausbrüchen bei Geflügel, Wildvögeln und Säugetieren – kontinuierlich geteilt und gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt in den Public-Health-Intelligence-Wochenbericht einfließen. International ist das FLI über One-Health-Formate wie z.B. das GOARN und das WOAH/FAO-Netzwerk OFFLU in den fachlichen Austausch zu Zoonosen eingebunden und trägt so zur globalen Früherkennung und Risikobewertung bei.
Da die Aviäre Influenza eine grenzüberschreitende Tierseuche ist, wie arbeitet das FLI mit europäischen und internationalen Partnern (z. B. WOAH, FAO, ECDC, WHO) zusammen, um einen schnellen Informationsaustausch und eine koordinierte Reaktion sicherzustellen, und wie könnte diese Zusammenarbeit im Rahmen der überarbeiteten IHR weiter gestärkt werden?
Das FLI hält eines von weltweit neun internationalen FAO-Referenzlaboren für Influenzvirusinfektionen bei Tieren, der Leiter des Nationalen Referenzlabors ist als Experte für aviäre Influenza bei der WOAH akkreditiert, er gehört zum steering committee der OFFLU-Organisation, die Kräfte der FAO, WOAH und WHO in Bezug auf Influenza bündelt. Es mangelt derzeit vor allem bei der Finanzierung von Informations- und Forschungsprojekten im transkontinentalen Austausch. OFFLU bietet für Anbahnungen und Umsetzung solcher Projekte exzellente weltweite Vernetzungen von Experten. Das FLI koordiniert zudem das EU-geförderte H5N1-Konsortium „Kappa-Flu“ und ist Teil des neuen BMFTR-geförderten Konsortiums „Flu-Prep“ bzw. des EU-Consortiums „DURABLE“, das mit HERA verbunden ist.
Um die Vernetzung innerhalb Europas weiter zu fördern und zu optimieren, wäre ein Netzwerk nach dem Muster des US-Netzwerkes „Centers of Excellence for Influenza Research and Response (CEIRR)“ sehr wünschenswert (siehe auch Europe needs a sustainably funded influenza research and response network, Krammer, Florian et al., The Lancet Infectious Diseases, Volume 25, Issue 4, 369 – 372).
👉 Weiterführende Information: Handreichung des RKI und des FLI zur intersektoralen Zusammenarbeit bei (Verdachts-)Fällen mit aviärer Influenza bei Tieren für eine koordinierte One-Health-Response
Foto: Mit KI erstellt.