Erfahrungsbericht zur 75. World Health Assembly der deutschen Jugenddelegierten

04. October 2022 I  News  I by : Anile Tmava

2022 wurde Deutschland zum zweiten Mal durch eine Jugenddelegierte bei der World Health Assembly Ende Mai vertreten. Anile Tmava sprach zu den Auswirkungen von sozialer Ungleichheit und Klimawandel auf mentale Gesundheit. Im Folgenden teilt sie ihre Eindrücke:

 

Meine Rolle als Jugenddelegierte
Meine Zeit als Jugenddelegierte bei der WHA 2022 hat mich in verschiedener Hinsicht bereichert, gefordert, eingeschüchtert, belehrt, aufmerksamer gemacht. Zuerst kam die Überforderung: Was soll ich machen? Wen soll ich fragen? Zum Glück stand mir die vorherige Jugenddelegierte Theresa Krüger in dieser Eingewöhnungszeit zur Seite. Auch, dass ich im Januar schon online am Executive Board Meeting teilnehmen konnte und dadurch eine Vorstellung vom Ablauf der WHA bekommen habe, hat mir den Einstieg erleichtert. Nach und nach habe ich mich in die Struktur und Arbeitsweise des Referats im BMG eingearbeitet, begonnen die Zuständigen für meine Interessenthemen zu unterstützen und mich auch in die Öffentlichkeitsarbeit des Mandats eingedacht. Hierbei war mir als erst zweite Jugenddelegierte bei der WHA besonders wichtig, das Programm in den Strukturen der Jugendrepräsentation zu verankern. Daher habe ich verschiedene Vernetzungsmöglichkeiten wahrgenommen (z.B. das Vernetzungstreffen mit den anderen Jugenddelegierten im Auswärtigen Amt, IFMSA Calls im Rahmen des EB im Januar und der WHA im Mai 2022, Austausch mit der Y7 Vertreterin für globale Gesundheit). Um das Programm weiter voranzutreiben und bekannter zu machen, bin ich mit dem Jungen UNO Netzwerk Deutschland e.V. in Austausch getreten, mit dem Ende Juni 2022 eine Vorstellungsrunde aller Jugenddelegiertenprogramme stattgefunden hat. Das Programm habe ich zudem in Kontexten der globalen Gesundheit wie der Akteursgruppe Jugend des Global Health Hub Germany vorgestellt.

Teilnahme an unterschiedlichen Projekten
Eine besonders schöne Erfahrung war, mit der Organisation „Global Partnership for Education“ ein Video mit anderen engagierten Jugendlichen aufzunehmen. Hier und hier habe ich zum Thema Mädchenbildung und Gesundheit gesprochen und hoffe, dass so der Aufruf, eine feministische Entwicklungspolitik zu verfolgen, mit Nachdruck bei der deutschen Entwicklungsministerin angekommen ist. Ein weiteres Projekt, an dem ich auch nach meiner Zeit als Jugenddelegierte weiterarbeiten werde, ist die Arbeitsgruppe „Child Health“ des Global Health Hub Germany. Als Jugenddelegierte war es mir ein Anliegen, als Verantwortliche im BMG mit dem Thema Kinder- und Müttergesundheit die WHA vorzubereiten und auch außerhalb dieses Rahmens meine Auseinandersetzung hiermit zu erweitern.

Internationaler Roundtable Biases in Healthcare" 
Den Großteil meiner Kapazitäten neben der WHA-Vorbereitung hat die Organisation einer Online-Veranstaltung zum Thema „Biases in Healthcare“ eingenommen. Nachdem ich alleine begonnen hatte, mir das Konzept zu überlegen und gemerkt habe, dass es enorm viel Aufwand ist, internationale Speaker*innen einzuladen und ein Konzept für eine solche Veranstaltung umzusetzen, habe ich glücklicherweise die niederländische Jugenddelegierte gefunden, die sich gleichermaßen für das Thema interessiert. Von Februar bis Mai 2022 haben wir das Themenschwerpunkte eingegrenzt, unsere Wunsch-Redner*innen recherchiert und eingeladen, den Ablauf geplant, geändert, verschoben, geändert, von drei auf einen Termin runtergekürzt. Am 10. Mai 2022 haben wir endlich das Event durchgeführt. Dr. Nupur Kohli, Ärztin, Autorin, Mitglied des UNICEF NL Supervisory Boards, Mitglied des World Economic Forum Global Shapers Advisory Board und Ted-Rednerin, hat interessante Einblicke in das Thema Gesundheit und sozioökonomischer Hintergrund gegeben. Dr. Tlaleng Mofokeng, Ärztin, Autorin, Aktivistin und aktuell UN Special Rapporteur on the Right to Health, hat über Gender und Gesundheit referiert. Joel Bervell, ein US-Amerikanischer Medizin-TikToker, TikToks „Voice for Change 2021“, Mitglied des WHO Digital Communications Teams und Mitglied am “White House Office of Public Engagement’s Healthcare Leaders in Social Media Roundtable”, hat über Race und Gesundheit gesprochen. Diese Erfahrung war herausfordernd, hat mir und der niederländischen Jugenddelegierten viele kurze Nächte und lange Sprachnachrichtendialoge im Vorfeld und mir kurzerhand Videobearbeitungsskills beschert, um das aus dem Event entstandene Video- und Tonmaterial aufzuarbeiten. Auch wenn dieses Event nicht nach Plan lief (die Redner*innen haben die Zeitvorgabe massiv überzogen, sodass wir die Veranstaltung im Verlauf eher zu einer „drei Vorträge mit ausgedehntem Q&A“ als einer „drei kurze Inputs und dann Austauschrunde“ umfunktioniert haben) denke ich, dass alle, Anwesenden sehr beeindruckt und angesteckt waren von dem Elan, den die Speaker*innen dem Thema „Diskriminierung im Gesundheitssystem“ entgegenbringen.

Teil der deutschen WHA-Delegation
Nach der intensiven thematischen Vorbereitung – ich habe einige Themen federführend, darunter das von mir gewählte Thema mentale Gesundheit, andere unterstützend vorbereitet und dafür Statements mit Referaten verschiedener Ministerien abgestimmt und Online-Besprechungen und Informationsveranstaltungen im Vorfeld der WHA besucht – bin ich am 24. Mai 2022 nach Genf zur 75. WHA geflogen. Die Vorbereitungszeit im BMG, und dort speziell im Referat für globale Gesundheit, hat den Rahmen für eine erfolgreiche und bereichernde WHA gesetzt. Hierzu absolvierte ich im Vorfeld der WHA eine eintägige Hospitation im BMG, um mich mit der allgemeinen ministeriellen Arbeit und der damit verbundenen Vorbereitung der WHA vertraut zu machen. Bei Fragen, und davon hatte ich bis zum Ende viele, wusste ich immer, wen ich kontaktieren kann, und auch die Organisation des Aufenthalts in Genf durch das BMG hat mir ermöglicht, mich ohne Sorgen auf das Inhaltliche zu konzentrieren.

Umgang mit Frauen
Mich haben bestimmte Arten des Umgangs (besonders mit jungen Frauen) im internationalen Kontext und die fehlende Berücksichtigung einiger wichtiger Themen wie dem Klimawandel überrascht und enttäuscht. Diesen Eindruck habe ich schon bei dem Austausch des BMG mit der Zivilgesellschaft in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft geteilt. Ich habe während der WHA festgestellt, dass es auch heute noch Situationen gibt, in denen der Umgang mit Frauen – insbesondere durch konservative Mitgliedstaaten - nicht angemessen ist. So gab es Situationen, in denen ich in zufällig gehörten Gesprächen mehr über den Körper einzelner Delegierter erfahren habe, als über ihre Arbeit in Genf selber. Des Weiteren musste ich die Erfahrung machen, dass ich in der in Genf herrschenden Atmosphäre ganz automatisch auf abfällige Handwinke den Sitzplatz freigemacht habe und erst nach langem Unbehagen in einer Runde verstanden habe, dass nur die männlichen Vertreter anderer Staaten angeschaut, angesprochen und zum Sprechen aufgerufen wurden. Dies zeigte mir, dass antisexistische Aufklärung als wichtiges Fokusthema bei der WHO und darüber hinaus gesetzt werden sollte.

Klima und Gesundheit
In Bezug auf die oft fehlende oder unzureichende Bezugnahme auf die Folgen des Klimawandels für die globale Gesundheit hoffe ich darauf, dass das Thema im nächsten Jahr, wenn die „WHO global strategy on health, environment and climate change 2019 – 2023” und “WHO plan of action on climate change and health in small island developing States 2019–2023” auslaufen, wieder neu in den Fokus rückt.

Meine Highlights
Trotzdem habe ich durch meine Zeit in Genf sehr viel gelernt, den Einblick in internationale Prozesse als bereichernd für meine Perspektive auf globale Politik empfunden und thematisch viel direkter und praktischer verstanden, was die WHO und ihre Wichtigkeit für die internationale Gesundheitspolitik ausmacht. Besonders im Gedächtnis wird mir von der Woche ein Gespräch mit Dr. Gaya Manori Gamhewage, der Direktorin für Prevention & Response to Sexual Exploitation, Abuse and Harassment (PRSEAH), bleiben. Sie hat mit der niederländischen Jugenddelegierten und mir fast zwei Stunden über die Arbeit als Frau bei der WHO und viele weitere Themen gesprochen und dabei sehr viel Zuversicht für die Zukunft der WHO und globale Gesundheit ausgestrahlt. Neben den von mir behandelten Themen (NCDs, Kinder- und Müttergesundheit, Traditionelle Medizin usw.) habe ich viel Freude daran gehabt, Side-Events zu verschiedenen, mir bis dahin unbekannten Themen, zu besuchen. Zum Beispiel hat mich eine Veranstaltung zu Behavioural Science in der Gestaltung von gesundheitspolitischen Maßnahmen überrascht und nachhaltig beeindruckt.
Eine weitere sehr schöne Möglichkeit bei der WHA und auch bei der Pre-WHA des IFMSA, die am Wochenende vor der WHA stattgefunden hat, war der Austausch mit den anderen Jugenddelegierten. Wir waren etwa 15 Jugendliche aus Dänemark, Norwegen, den Niederlanden, Deutschland, Israel, Libanon, Kanada und noch weitere aus der IFMSA-Delegation und haben uns viele Gedanken dazu gemacht, wie weitere Jugenddelegiertenprogramme in anderen Ländern gestartet werden und wo wir dabei unterstützen können.
Das Highlight für mich war natürlich, das Statement zu mentaler Gesundheit halten zu dürfen. In Absprache mit anderen Referaten in verschiedenen Ministerien habe ich in der Rede auf die Wichtigkeit von sozialen Determinanten in der Entstehung und Behandlung mentaler Krankheit hingewiesen und dabei besonders hervorgehoben, dass der Klimawandel sowie Diskriminierung, politische und militarisierte Konflikte sowie ökonomische Ungleichheit in die Mental Health Strategie der WHO integriert werden müssen, um das Thema in seiner Gänze zu erfassen.

Danksagung
Ich blicke auf eine bereichernde Zeit als Jugenddelegierte bei der WHA 2022 zurück. Sie hat mir viele einmalige Erlebnisse und Einblicke ermöglicht, die meinen weiteren Weg prägen werden. Ich möchte mich bei allen Personen bedanken, die das Programm in dieser Form möglich gemacht haben und werde im nächsten Jahr versuchen, meine Erfahrungen an die nächste Person in der Position weiterzugeben, damit das Jugenddelegiertenprogramm zu einem nicht mehr wegzudenkenden Teil der deutschen Delegation bei der WHA wird.

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