Die globale NCD-Krise ist eine tickende Zeitbombe für Afrikas Gesundheitssysteme

07. Oktober 2025 I  News ,  NCDs  I von : Vania Kibui, William Kidega & Ralph Achenbach

Afrikas größte Gesundheits- und Entwicklungs-NGO, Amref Health Africa, reflektiert über die UN-Deklaration zu nichtübertragbaren Krankheiten & psychischer Gesundheit und darüber, was geschehen muss, um eine vermeidbare Gesundheitskrise auf dem Kontinent abzuwenden.

Von Vania Kibui (Senior Advisor, Policy Advocacy & Strategic Engagement, Amref Health Africa) und William Kidega (Health Research Development & Innovation Advocacy & Communications Advisor, Amref Health Africa) mit Ralph Achenbach (Geschäftsführer, Amref Health Africa Deutschland)

Auf der 80. Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA80) verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs eine Deklaration zu nichtübertragbaren Krankheiten (NCDs) und psychischer Gesundheit. Für Afrika, wo fragile Gesundheitssysteme bereits das Gewicht von Infektionskrankheiten schultern, ist diese Deklaration ein willkommenes Signal. Aber sie reicht nicht aus. Die Deklaration bot die Möglichkeit für eine rechtzeitige, strategische und zentrale Neupositionierung der psychischen Gesundheit – nicht als separates Anliegen, sondern als zentrales Element der NCD-Reaktion. Wenn jetzt keine konkreten Maßnahmen folgen, wäre dies eine verpasste Chance.

Als Amref Health Africa erkennen wir die Dringlichkeit. Wenn die Regierungen nicht über politische Versprechen hinausgehen hin zu mutigen Finanzierungsreformen und Systemneugestaltungen, werden NCDs die afrikanischen Gesundheitssysteme innerhalb dieses Jahrzehnts zum Kollaps bringen. Die Frage ist nicht länger eine der Bewusstseinsbildung, sondern des politischen Willens, der finanziellen Neuausrichtung und nicht zuletzt auch von Solidarität.

Deutlich wurde dies bei Amrefs Side Event in New York: „Unlocking Africa’s Youth Potential through Integrated NCD and Mental Health & Wellbeing“. Diese entscheidende Diskussion fand vor dem Hintergrund einer stillen und wachsenden psychischen Gesundheitskrise unter Jugendlichen in Afrika statt. Psychische Erkrankungen, lange vernachlässigt und stark stigmatisiert, nehmen bei Jugendlichen weltweit, auch in Afrika, stark zu. Diese Krise verstärkt die wachsende Krankheitslast durch nichtübertragbare Krankheiten in Afrika und bildet so eine gefährliche Synergie, die Jahrzehnte an Gesundheits- und Entwicklungserfolgen zu untergraben droht.

Die Botschaft war klar: Afrikas Jugend, unser größtes Kapital, steht an der Bruchlinie einer sich entfaltenden Gesundheitskrise. Daher ist Integration nicht nur eine Option, sondern das einzige Gebot.

Die afrikanische NCD-Krise und systemisches Versagen

Die Zahlen sind ernüchternd: NCDs sind inzwischen für mehr als 71 % der weltweiten Todesfälle verantwortlich und werden bis 2030 voraussichtlich die häufigste Todesursache in Subsahara-Afrika sein. In vielen afrikanischen Krankenhäusern machen Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Krebs bereits die Hälfte aller Aufnahmen und fast 35 % der Todesfälle aus.

Diese Krise wird durch rapide Urbanisierung, ungesunde Ernährung und schwache Präventionssysteme befeuert. Doch das Finanzierungsmodell für NCDs ist gescheitert:

  • Unhaltbare Finanzierung: Während Infektionskrankheiten einst von stark subventionierten Programmen profitierten, bleibt die chronische NCD-Versorgung weitgehend ungedeckt.
  • Katastrophale Kosten: Familien tragen nun fast 80 % der NCD-Versorgung aus eigener Tasche, was Millionen in Armut treibt und die Behandlung verzögert, bis es zu spät ist.

Laut Dr. Githinji Gitahi, Amrefs Group CEO, sind Gesundheitssysteme, die auf dem Infektionskrankheiten-Modell basieren, „für die kontinuierliche chronische Versorgung ungeeignet“. Ohne neue Ressourcen und Aufmerksamkeit werden sie unter dem Gewicht der langfristigen NCD-Versorgung zusammenbrechen.

Revolutionierung der Versorgung: Ein zweigleisiger Paradigmenwechsel

Die Bewältigung der NCD-Krise Afrikas erfordert einen radikalen Paradigmenwechsel, der neu gestaltet, wie und wo Versorgung geleistet wird.

Vorverlagerung von Diagnose und Versorgung: Heute erfolgt die Diagnose von NCDs meist spät, wenn die Behandlung teuer und komplex ist. Die Zukunft liegt nicht hinter den Toren der Krankenhäuser, sondern in den Gemeinden, wo Prävention und Früherkennung beginnen. Regierungen müssen in Community Health Workers (CHWs) investieren und sie mit kostengünstigen Instrumenten wie Mobiltelefonen, Glukometern und Blutdruckmessgeräten ausstatten. Damit können CHWs Erkrankungen früh erkennen und die Versorgung näher an die Haushalte bringen.

Auch digitale Werkzeuge sollten Teil dieses Wandels sein, aber nur einfache, offline-fähige Systeme, die in ländlichen Kliniken und Gemeinden funktionieren – nicht teure Hightech-Pilotprojekte, die im großen Maßstab scheitern.

Integration von psychischer Gesundheit und NCDs: Chronische Krankheiten tragen oft eine unsichtbare Last: Depression, Angst und Hoffnungslosigkeit. NCDs und psychische Gesundheit sind miteinander verbunden, insbesondere bei jungen Menschen, die mit Arbeitslosigkeit und Armut konfrontiert sind.

Integrierte Versorgungsmodelle, die sowohl das körperliche als auch das psychische Wohlbefinden berücksichtigen, sind der einzige Weg, sicherzustellen, dass Jugendliche gedeihen können.

Ein Aufruf zum Handeln: Säulen für globale und nationale Verpflichtungen

Die Deklaration bei UNGA80 ist ein Ausgangspunkt. Um die gesundheitliche und wirtschaftliche Zukunft Afrikas zu schützen, müssen Regierungen und Partner entschlossen entlang der folgenden Säulen handeln:

  1. Finanzielle Neuausrichtung und progressive Universalität
    • Einführung von Gesundheitssteuern auf Tabak, Alkohol, zuckerhaltige Getränke und ultraverarbeitete Lebensmittel.
    • Zweckbindung der Einnahmen zur Finanzierung von NCD- und Programmen für psychische Gesundheit.
    • Aufnahme der NCD-Versorgung in nationale Versicherungssysteme, um die erdrückende Eigenbeteiligung der Familien zu verringern.
  2. Systemischer Wiederaufbau: Stärkung der Frontlinien
    • Investitionen in CHWs und deren Integration als Rückgrat der NCD-Prävention und Frühversorgung.
    • Sicherstellen, dass sie ausgebildet, bezahlt und vollständig in die Gesundheitssysteme eingebunden sind.
  3. Policy und Regulierung: Schutz der nächsten Generation
    • Durchsetzung starker Lebensmittelpolitiken, um industrielle Transfette zu eliminieren, das Marketing von zucker- und salzreichen Produkten an Kinder einzuschränken und ungesunde Lebensmittelumgebungen zu regulieren.
    • Prävention ist die kosteneffektivste Heilung. Jeder investierte Dollar in die Reduzierung von Risikofaktoren spart den Gesundheitssystemen ein Vielfaches an Behandlungskosten.

Ein globales Gebot

Weniger als 3 % der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitswesen fließen derzeit in NCDs, trotz ihrer wachsenden Bedeutung. Dieses Ungleichgewicht ist unhaltbar. Globale Solidarität sind keine Almosen; sie ist eine strategische Investition in Stabilität und Sicherheit.

Die HIV/AIDS-Reaktion hat gezeigt, was möglich ist. Bahnbrechende Behandlungen wie Lenacapavir wurden sowohl in Hoch- als auch in Niedrigeinkommensländern durch politischen Willen und innovative Finanzierung zugänglich. Dieselbe Dringlichkeit und Gerechtigkeit muss nun die Reaktionen auf NCDs und psychische Gesundheit leiten.

Die Uhr tickt

Die Zeit, NCDs als „zukünftiges Problem“ zu betrachten, ist vorbei. Sie sind heute schon da, untergraben Afrikas Gesundheitssysteme und bedrohen die Entwicklung des Kontinents.

Das Vermächtnis von UNGA80 darf nicht eine weitere Deklaration sein. Es muss ein Jahrzehnt greifbarer, finanzierter Maßnahmen sein, in dem NCDs und psychische Gesundheit vollständig in die primäre Gesundheitsversorgung integriert werden, unterstützt durch inländische Finanzierung und globale Solidarität.

Afrika kann es sich nicht leisten, NCDs als stillen Killer zu behandeln, nur um zu spät zu erkennen, dass sie zum Auslöser für den systemischen Kollaps geworden sind.

 

Bild: Amref Health Africa. 

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